21. April 2014

Interview mit Samy Deluxe

«Vielen fehlt einfach der Humor»

Samy Deluxe zählt zu den Gründervätern des deutschen Hip-Hop Nach dem autobiographischen «SchwarzWeiss» und dem Ausflug in den Soul und Funk als Herr Sorge, übt der 37jährige Hamburger auf seinem neuen Album «Männlich» auch Kritik am eigenen Geschlecht. TheTitle hat ihn dazu befragt.

Interview: Rudolf Amstutz
Gehen selbst nach fast zwei Jahrzehnten Verbalarchitektur die Worte nicht aus: Samy Deluxe. Bild: © Universal Records

Auf Deinem neuen Album «Männlich» geht es um den Mann in all seinen Schattierungen: von der Geldgier bis zum Testosteron und von der Verletzlichkeit und Romantik bis zur Treue und Untreue wird alles angesprochen. Wann war denn klar, dass dies das übergeordnete Thema der Platte wird?

Samy Deluxe: Eigentlich schon auf der Tournee zu meinem letzten Album «SchwarzWeiss». Im Tourbus bin ich immer derjenige, der am längsten wach bleibt, weil ich permanent an neuen Texten rumbastle. Und einmal hörte ich mir dabei ein paar alte Beats von früher an, als ich noch in meinen Anfängen steckte. Daraus entstand dann der Song «Probleme», der zur Initialzündung für «Männlich» wurde. Darin geht es um Klischees, die man mit Männern verbindet: derb, krass, gross, laut und brachial. Im Gegensatz zu: filigran und schön. Dies war der Ausgangspunkt, um aus meiner persönlichen Sicht die männliche Identität in all ihren Facetten zu beschreiben. Ich hatte 2003 mit der Platte «Verdammtnochma!» bereits eine solche Bestandesaufnahme gemacht und wollte dies jetzt aus der Warte eines älter Gewordenen wieder tun.

Mit dem Alter verändert sich die Perspektive. Du beschreibst in «Der letzte König von Schrottland» die Geldgier und Konsumwut, in «Blablabla» die verbale Unfähigkeit zur Kommunikation, in «Schaukelstuhl» und «Penis» den Trieb und in «Liebe in der Discotheque» das stumpfe Abtanzen.

Als 20-Jähriger habe ich in der Disco auch noch gesoffen und getanzt. Heute stehe ich meist nur da und observiere, was die da so machen. Und da realisiert man dann erst, wieviele Menschen eigentlich auf der Suche nach Liebe sind, unter Einsamkeit leiden und wie triebgesteuert wir uns dabei verhalten.

Die Männlichkeit hat ja im Hip-Hop einen besonderen Stellenwert. Als Rapper brichst Du ganz klar mit jenen Dogmen, die in dieser Szene gelten. Wolltest Du den Machos dieser Welt auch neue Perspektiven aufzeigen?

Ich habe keinen Einfluss darauf, wer letztlich welche Erkenntnis aus dem Album rauszieht. Ich habe schon zur Genüge erlebt, dass wenn ich A sage, längst nicht alle auch A verstehen. Mein Ziel ist es, Gedanken anzustossen, weil ich denke, dass gerade Rap sehr gut dafür geeignet ist. Aber der Hörer sollte dann das Gehörte mit Hilfe seiner eigenen Erfahrungen reflektieren. Als ich früher Public Enemy gehört habe, und die mir erzählten, wie es sich als Schwarzer in den USA anfühlt, war dies Anstoss für mich, über mein Leben als Deutscher mit dunkler Hautfarbe nachzudenken. Ich finde es aber auch wichtig, dass man ernste Themen mit Humor vermittelt.

Als Du vor zwei Jahren unter dem Namen Herr Sorge das Album «Verschwörungstheorien mit schönen Melodien» veröffentlicht hast, haben dies einige Hip-Hop Puristen gar nicht goutiert. Fehlt gewissen Leuten in dieser Szene der Humor, der Sinn für Ironie?

Eindeutig, ja. Da gibt es viele, die haben eigentlich einen recht guten Geschmack, nur ist der einfach ungemein eingeschränkt. Letztlich hat dies auch mit Intellekt, Bildungsstand und Weltoffenheit zu tun. Ich wurde glücklicherweise sehr weltoffen erzogen. Spätestens wenn man als Person von anderen falsch bewertet und verstanden wird, sollte man beginnen, die eigenen Vorurteile zu hinterfragen. Aber Musik bleibt am Ende halt Geschmacksache – im Gegensatz zu Sport, ist Kunst nicht messbar.

Rap bastelt sich ja anhand von Samples aus der Musikgeschichte seinen eigenen Sound, ist also vom Ansatz her ein nach allen Richtungen offener Stil. Seltsam, dass sich dann wieder ein konservativer Zirkel bildet.

Es geht hier mehr um die Wahrnehmung der Person und weniger um die Musik. Als Rapper stehe ich stellvertretend für etwas. Wenn dann aber meine persönliche Entwicklung anders verläuft als die öffentliche Wahrnehmung meiner Person, kommt es zum Missverständnis. Für viele war mein Auftritt als Herr Sorge nicht nachvollziehbar: plötzlich kommt Samy Deluxe geschminkt daher und singt. Für viele kam dies einem Vertragsbruch gleich. Einem Rapper ist es nicht erlaubt zu singen. Schuster bleib bei deinen Leisten. Interessanterweise bekam ich aus Künstlerkreisen nur positive Reaktionen, weil da der Drang, ein Alter Ego zu entwickeln, wohl besser nachvollzogen werden kann.

Deine Musik entsteht ja in der von Dir geschaffenen KunstWerkStadt. Wie muss man sich das vorstellen, ist dies ein Treffpunkt, zu dem Du jeden Morgen hinfährst, so wie andere ins Büro?

Das ist ein altes Studio in Hamburg, in dem in den 1990er Jahren auch Bands wie Motörhead aufgenommen haben. Ich habe das Gebäude gemeinsam mit meinem Manager Sebastian übernommen und wir haben dann eine Wohnung mit Küchen und Gästezimmern eingebaut. Wenn wir mit Gleichgesinnten zusammenkommen, um kreativ zu arbeiten, dann leben und schlafen wir auch dort. Man muss sich dies wie eine Kommune vorstellen, bei der dann permanent spannende Menschen mit ihren Ideen vorbeischauen. Mir persönlich hat die KunstWerkStadt viele neue Horizonte eröffnet.

Du engagierst Dich seit Jahren auch sozial, vor allem in der Jugendarbeit. Ist der Umgang mit den Jugendlichen im Laufe der Zeit schwieriger geworden?

Oh ja! Die negativen Einflüsse von aussen, die heute auf die Jugendlichen einwirken, sind viel stärker als früher. Es herrscht eine permanente Ablenkung durch die digitalen Möglichkeiten und der Drang materiellen Dingen hinterher zu rennen ist enorm – dagegen ist schwer anzukämpfen. Ich habe in meinen Workshops, die ich in Schulen in ganz Deutschland gebe, festgestellt, dass je grösser die Stadt ist, je überforderter präsentiert sich das Schulsystem. In Stuttgart waren die Kids Feuer und Flamme und auch der Respekt gegenüber mir war gross. In einem besseren Viertel in Berlin dagegen machten die Schüler völlig auf Null Bock. Die waren nur mit ihren eigenen Bedürfnissen beschäftigt, mit Twitter, Facebook und YouTube.

Wenn Du denn von diesen Zuständen flüchten könntest, auf die vielzitierte einsame Insel – welche Platten würdest Du mitnehmen?

(lacht) Wieviele darf ich denn einpacken? Nein, im Ernst. Ich habe mein ganzes Leben Rap gehört, angefangen in den Achtzigern und es gab in all diesen Jahren ganz tolle Sachen. Aber am Ende lande ich halt immer wieder bei A Tribe Called Quest und Slum Village, bei den Beats von J Dilla und DJ Premier. Ich würde eine vollbepackte Tasche von diesen Sachen mitnehmen und dann heimlich den Rest guter Musik auf mein iPhone laden (lacht). Und ganz sicher müsste eine Ladung an Musikinstrumenten mit, um selber weitermachen zu können.

Du bist ja eines der Urgesteine des deutschen Hip-Hop. Rückblickend betrachtet, wie sehr hat sich die Szene in all diesen Jahren verändert?

Die Szene hat sich auf der Zeitachse nicht so sehr verändert. Sie wird eher von immer wiederkehrenden Zyklen bestimmt. Auf der einen Seite gibt es jene, die schon immer da waren und die alle paar Jahre ein neues Album und eine neue Tour machen. Und dann gibt es diese kurzfristigen Trends, die immer einen als das grosse Talent abfeiern. Vielmehr unterscheidet sich die Hip-Hop Szene in der Art des Umgangs. Für mich ist Rap eine Kunstform, in der ich meine Entwicklung als Mensch und als Künstler reflektieren will. Andere machen eher mit Schockeffekten auf sich aufmerksam, im Sinne von: Guckt mal, ich bin der krasse Gangster. Dann gibt es noch die, die daraus Popmusik machen wollen. Die Namen der Protagonisten hat sich im Laufe der Zeit geändert, aber grundsätzlich ist es bei diesen Strömungen geblieben. Aber solange es Leute wie Jan Delay oder Max Herre gibt, bin ich eigentlich guter Dinge.

#-#SMALL#-#Zur Person
Samy Sorge alias Samy Deluxe gehört zu den Gründervätern des deutschen Hip-Hop. Geboren wurde er 1977 in Hamburg als Sohn einer deutschen Mutter und eines sudanesischen Vaters, der die Familie nach nur zwei Jahren verlässt. Dieser Umstand und das Aufwachsen als Deutscher mit dunkler Hautfarbe hat Deluxe auf zahlreichen Songs immer wieder thematisiert. Sein Plattendebüt gab er als Mitglied der Formation Dynamite Deluxe 1997 – «Männlich» ist sein mittlerweile sechstes Soloalbum. Hinzu kommen zahlreiche Mixtapes sowie ein Soul/Funk-Album unter dem Namen Herr Sorge. Der 37jährige hat sich auch einen Namen gemacht als Modedesigner, Gründer des Kreativzentrums KunstWerkStadt in seiner Heimatstadt, als Botschafter für den Welt Aids Tag und als Initiator der Jugendprojekte «Crossover» und «DeluxeKidz e.V.»., in denen er Schülerinnen und Schüler mit Hilfe von Hip-Hop im sprachlichen und musischen Bereich fördert.

 

#-#IMG2#-#Samy Deluxe. Männlich. Universal

Samy Deluxe - «One Take Wonder 4»: Freestyle @ The KunstWerkStadt »

Samy Deluxe - «Traum» Videoclip »

Samy Deluxe - «Poesie Album» (Audio) aus «SchwarzWeiss» »

Samy Deluxe – Webseite »

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