7. September 2017

«Manifesto» von Julian Rosefeldt

Die unendliche Leichtigkeit des Intellekts

Aus einer Videoinstallation wird ein Film, aus 56 Manifesten ein einziges und aus einer Cate Blanchett werden deren 13: Julian Rosefeldts «Manifesto» ist Gesellschaftskritik, ironischer Beitrag zur Zeit und – last but not least – ein eindrückliches Dokument höchster Schauspielkunst.

von Rudolf Amstutz
Lehrstunde in Schauspielerei: Cate Blanchett in zwölf der insgesamt dreizehn Charaktere, die sie in «Manifesto» verkörpert. Bild: DCM

Die Kamera schwebt langsam über eine riesige Fabrikanlage und zeigt in eindrücklichen Bildern das Ende einer Epoche – jener der industriellen Revolution. Inmitten der Ruinen ein vor sich hin brabbelnder Obdachloser, der das Ende der kapitalistischen Weltordnung verkündet. Und als wär dies nicht genug, thront hoch oben auf den Trümmern der einstigen Zivilisation ein Pavian als sei er von nun an der König der Welt.

So beginnt Julian Rosefeldts «Manifesto», das filmische Resultat einer ursprünglich mehrteiligen und gleichnamigen Videoinstallation, die letztes Jahr von Berlin bis New York die Kunstwelt aufhorchen liess. Man kommt nicht umhin, angesichts dieser einnehmenden Kombination von Bild und Text an die luftleere Parole von «Make America Great Again» erinnert zu werden, die die sentimentale Rückkehr zu den «guten alten Zeiten» verspricht und gleichzeitig dem drohenden «Zerfall der Werte» längst vergessene Ressentiments entgegenhält.

Was sich allerdings in «Manifesto» in den folgenden neunzig Minuten abspielt, ist vielmehr als bloss eine oberflächliche Gesellschaftskritik, sondern ein fulminantes Vexierspiel zweier Künstler, die sich für dieses Projekt gefunden haben. Der Obdachlose ist keine Geringere als Cate Blanchett, die in «Manifesto» gleich in 13 verschiedenen Rollen auftritt. Und der deutsche Künstler Julian Rosefeldt entpuppt sich als kongenialer Partner in dieser von ihm geschaffenen Welt, die auf nicht weniger als 56 verschiedenen Manifesten der Menschheitsgeschichte beruht.

Rosefeldt hat diese Gedanken und Visionen aus über hundert Jahren Kulturgeschichte komprimiert und neu collagiert und so aus der Vergangenheit ein Manifest für die Gegenwart geschaffen. So zitiert der Obdachlose Teile des «Draft Manifesto» des John Reed Club of New York aus dem Jahre 1932, dessen formulierten Ängste vor dem Ende der Demokratie 2017 nicht minder aktuell sind. Als nächstes sieht man Cate Blanchett als Börsenmaklerin in einer architektonischen Hightech-Umgebung, die die Menschen wie Batteriehühner wirken lässt, derweil sie die Futuristen zitiert und in deren Worten gleich ihre eigene Handlung konterkariert.

Diesem Spiel mit den Gegensätzen ist es zu verdanken, dass der zitierten Ernsthaftigkeit auch stets Ironie und Humor entgegentreten. Blanchett als Arbeiterin einer Müllverbrennungsanlage, die in einer Sozialbausiedlung lebt, steht jenen Worten der Architekten des frühen 20. Jahrhunderts entgegen, die uns ein menschlicheres Wohnen versprachen. Blanchett als fulminante Grabrednerin, die offenlässt, ob sie nun DADA zu Grabe trägt oder alles was vor DADA war. Blanchett als religiöse Südstaatlerin, die beim Tischgebet mit der Familie Pop-Art-Manifeste gen Gott richtet oder Blanchett als eitle russische Choreographin, die ihre Tänzer quält, obwohl sie gleichzeitig die antiautoritäre Haltung der Fluxus-Bewegung divenhaft zitiert.

Dank dieses Meisterstücks darstellerischen Könnens seitens von Cate Blanchett und der subtilen und immer wieder überraschenden Inszenierung durch Julian Rosefeldt wird die intellektuelle Kulturgeschichte kollektiv auf die Probe gestellt, indem man ihr einen Spiegelsaal vorhält. Während die einen Manifeste bedrohlich aktuell wirken, werden andere durch die kunstvolle Darstellung auch in ihrem inhaltlichen Scheitern zum substanziellen Statement zur Zeit erhoben.

Was sich als schwer verdaulicher Kunstfilm liest, ist in Tat und Wahrheit ein lustvolles Spiel zwischen Vergangenheit und Gegenwart, ein eindrückliches Dokument höchster Schauspielkunst, ein humoristisches Essay mit ernstem Hintergrund und ein ernster Kommentar in schweren Zeiten, der es wagt auf leichtem Fuss zu uns zu sprechen. Kurz: «Manifesto» ist grandioses Kino.

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#-#SMALL#-#«Manifesto». Deutschland 2017. 95 Minuten. Drehbuch, Regie und Produktion: Julian Rosefeldt. Kamera: Christoph Krauss. Musik: Nils Frahm, Ben Lukas Boysen.

Mit: Cate Blanchett.

«Manifesto» – Trailer »

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